Die Mehrheit der Familienunternehmen in Deutschland bemängelt, dass die EU zu wenig für das wirtschaftliche Fortkommen unternimmt. Mehr als zwei Drittel der befragten Unternehmen geben der EU in der Wirtschaftspolitik die Noten 4, 5 oder 6. Als ein Beispiel für falsche Weichenstellungen nennen die Betriebe die Zunahme der EU-Regulierung. 89 Prozent der Unternehmen sagen, dass die Bürokratiebelastung aus Europa zugenommen habe. Das ergibt eine repräsentative Umfrage des ifo-Instituts im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen. Es haben 1038 Familienunternehmen geantwortet.
Die Ergebnisse müssten wachrütteln, sagte Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen und Politik. „Die deutschen Familienunternehmen leisten ihren Beitrag, damit Europa wirtschaftlich zusammenwächst. Doch sie sind in höchstem Maße unzufrieden, weil die EU die Bedingungen für die europäischen Unternehmen vernachlässigt. Die ökonomische Stärke Europas ist in Gefahr: Niedrige Wachstumsraten, hohe Staatsverschuldung und eine überbordende Bürokratie, die vor allem aus Brüssel kommt, lähmen die europäische Wirtschaft. Deshalb ist es wichtig, die Weichen neu zu stellen und die EU-Politik an der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit auszurichten.“
Positiv bewerten die Familienunternehmen die Grundfreiheiten der EU. Zwei Drittel der Familienunternehmen halten die Möglichkeiten, die der freie Warenverkehr bringt, für ausreichend. Ähnlich hoch ist die Zufriedenheit mit der Personenfreizügigkeit, dem freien Dienstleistungsverkehr und dem ungehinderten Kapitalverkehr. Beim Ausbau der Personenfreizügigkeit und dem Dienstleistungsverkehr sehen die Familienunternehmen trotzdem noch Potenzial. 17 Prozent der befragten Unternehmen erwarten sich eine weitere Harmonisierung bei der Personenfreizügigkeit. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Entsendung von Mitarbeitern in die EU mit Hürden wie zum Beispiel der Ausstellung der Entsendebescheinigung verbunden ist.
Die Befragung zeigt, dass die deutschen Familienunternehmen ihre Geschäftsaussichten in Europa pessimistisch bewerten. Rund die Hälfte der befragten Unternehmen sagten, sie erwarteten ein negatives Geschäftsumfeld. Unter den wirtschaftlichen Aufgaben wird die Eindämmung der Bürokratie als am dringendsten betrachtet. Weit oben in der Priorität stehen auch neue Anstrengungen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und der Kampf gegen Cyber-Attacken.
Die Umfrage gibt Aufschluss darüber, wie die zunehmende Bürokratie die Unternehmen bindet. Fast 70 Prozent der Familienunternehmen geben an, dass die Arbeitsbelastung als direkte Folge der Bürokratiebelastung in den letzten zwei Jahren gestiegen ist. Diese wiederum stammt überwiegend aus Brüssel. Stiftungsvorstand Kirchdörfer: „Immer mehr Unternehmer begreifen die EU als unbändigen Bürokratie-Produzenten. Es ist eine gefährliche Entwicklung, wenn die EU-Politik den Rückhalt und die Anerkennung derjenigen verspielt, die in Europa Wachstum und Beschäftigung sichern.“
Darüber hinaus beobachten 61 Prozent von ihnen eine damit verbundene Demotivation der Beschäftigten. Insbesondere bei den 500 größten Familienunternehmen ist die Bürokratiebelastung mit dem vorhandenen Personal nicht mehr zu bewältigen: 73 Prozent berichten von der Einstellung neuer Beschäftigter, um die europäischen Berichtspflichten zu erfüllen. Bei allen teilnehmenden Familienunternehmen der Umfrage liegt der Wert im Schnitt bei 30 Prozent. Dies verdeutlicht, dass kleinere Unternehmen offenbar nicht immer die Mittel haben, neue Mitarbeiter für Verwaltungsaufgaben einzustellen. Hingegen berichten 43 Prozent aller befragten Familienunternehmen davon, dass sie Kapazitäten aus anderen Bereichen des Unternehmens abziehen müssen. Wichtige Vorhaben wie Innovationen und Investitionen in Nachhaltigkeit können dadurch ins Hintertreffen geraten. Doch nicht nur die Masse der Bürokratie ist ein Problem: Zwei Drittel der Familienunternehmen beklagen mangelnde Unterstützung bei der Erfüllung des wachsenden administrativen Aufwands, etwa in Form digitaler Angebote.