Bewertung des Koalitionsvertrages

Aus Sicht der Familienunternehmen ist erfreulich, dass der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP keine Steuererhöhungen enthält. Hoffnung macht auch die geplante Beschleunigung der Planungsverfahren. Im Arbeitsrecht könnten dagegen Verschlechterungen drohen. 

Mitbestimmung

Die Unternehmensmitbestimmung soll weiterentwickelt werden. Im Kern soll der sogenannte Einfriereffekt, der bisweilen zur vollständigen Vermeidung von Mitbestimmung führen kann, abgeschafft werden. Der Effekt kommt bei SE-Gesellschaften zum Tragen.

Bewertung: Die Abschaffung des Einfriereffekts ist ein nationaler Alleingang, der die europarechtlichen Bestimmungen zur SE außer Kraft setzt. Damit geht ein Auseinanderbrechen der EU-einheitlichen Rechtsform einher.

Die Konzernzurechnung aus dem Mitbestimmungsgesetz soll auf das Drittelbeteiligungsgesetz übertragen werden, wenn faktisch eine echte Beherrschung vorliegt. Bei der Konzernzurechnung zählen, anders als bei den Vorschriften zur paritätischen Mitbestimmung, die Beschäftigten von Tochtergesellschaften nicht mit, wenn es um die Schwellenwerte im Mutterkonzern geht.

Bewertung: Die Konzernzurechnung würde für eine Reihe von Familienunternehmen eine massive Verschlechterung bedeuten, da sie dann unter die Mitbestimmung fallen.

Mindestlohn

Der Mindestlohn soll in einer Stufe auf zwölf Euro (zurzeit 9,60) pro Stunde erhöht werden. Über weitere Erhöhungen in der Zukunft befindet dann wieder die Mindestlohnkommission. Die SPD will die Mindestlohnerhöhung möglichst 2022 beschließen.

Bewertung: Die Erhöhung ist aus mehreren Gründen kritisch zu sehen. Erstens ist sie ein weiterer Eingriff in die Tarifautonomie. Zweitens würden viele schon von der Pandemie betroffene Dienstleistungsunternehmen zusätzlich belastet. Drittens werden sämtliche in Tarifen festgelegte untere Lohngruppen ihrerseits eine Anhebung einfordern, um den Abstand zum gesetzlichen Mindestlohn beizubehalten.

Homeoffice

Beschäftigte „in geeigneten Tätigkeiten“ erhalten das Recht, mobiles Arbeiten und Homeoffice zu fordern. Arbeitgeber können dem Wunsch der Beschäftigten nur widersprechen, wenn betriebliche Belange entgegenstehen.

Bewertung: Die angedachte Homeoffice-Regelung greift erheblich in die Betriebsabläufe ein und stellt das Organisationsrecht des Arbeitgebers in Frage. Anstelle einer gesetzlichen Regelung, sollte auch weiterhin auf innerbetriebliche Absprachen gesetzt werden.

Fachkräfte

Das Einwanderungsrecht soll um eine Säule mit Punktesystem erweitert werden. Voraussetzung dafür ist ein konkretes Arbeitsangebot. Ergänzend sollen Asylbewerber vom Asylverfahren in das Zuwanderungsverfahren wechseln können, wenn sie über eine berufliche Qualifikation verfügen, die in Deutschland gesucht wird.

Bewertung: Es ist gut, die Zuwanderungssysteme auf die Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte zu konzentrieren. Der Verfahrenswechsel bei Asylverfahren erscheint hilfreich, ist er doch geeignet, die Verfahrensdauer erheblich zu verkürzen und so die Integration zu verbessern.

Während der Pandemie war die Begrenzung des Hinzuverdienstes bei vorzeitigem Rentenbezug befristet stark angehoben worden. Diese Befristung soll nun entfallen, so dass ein durchschnittliches Arbeitnehmer-Einkommen neben der Rente vollständig anrechnungsfrei bleiben kann.

Bewertung: Die Regelung erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die betreffenden Rentner noch weitere Zeit an das Unternehmen gebunden werden können.

Bürokratieabbau

Es ist ein viertes Bürokratieentlastungsgesetz (BEG) geplant, wodurch Wirtschaft, Bürger und Verwaltung entlastet werden sollen.

Bewertung: Die Bundesregierung sollte unbedingt darauf achten, dass nicht nur kleine und mittelgroße Unternehmen entlastet werden, wie beim BEG III. Es müssen auch große Unternehmen berücksichtigt werden.

Es soll ein systematisches Verfahren zur Überprüfung des bürokratischen Aufwands von Gesetzen und Regelungen entwickelt werden, in das die Betroffenen einbezogen werden (sog. Praxistest). Europäisches Recht soll bürokratiearm und bürgernah umgesetzt werden. Ein KMU-Test auf EU-Ebene soll den Mittelstand besser berücksichtigen.

Bewertung: Der geplante Praxistest geht in die richtige Richtung. Dieser nationale Praxistest und der KMU-Test auf EU-Ebene sollten allerdings um den Familienunternehmen-Test, wie von der Stiftung Familienunternehmen entwickelt und vorgeschlagen, ergänzt werden. Nur so wird er den besonderen Belangen der Familienunternehmen gerecht.

Explizit wird ein EU-Echtzeit-Register für A 1-Bescheinigungen gefordert.

Bewertung: Das Register für A 1-Bescheinigungen ist ein echter Mehrwert, wenn nach der elektronischen Beantragung der Bescheinigung eine automatisierte Hinterlegung im Register erfolgt.

Verwaltungs-, Planungs- und Genehmigungsverfahren

Im Vordergrund stehen die Digitalisierung der Verfahren, die Beschleunigung des Rechtswegs und die Klärung des Verhältnisses von Artenschutz zu Klimaschutz. Auf diese Weise soll systemrelevante Infrastruktur schneller gebaut und erhalten werden können. Für die Planung besonders priorisierter Infrastrukturvorhaben soll, wenn es um länderübergreifende Vorhaben geht, das Raumordnungsverfahren durch den Bund übernommen werden können. Dies betrifft insbesondere den Ausbau der Höchstspannungsleitungen Nord-Süd sowie bestimmte Bahntrassen.

Bewertung: Die extrem langen Verwaltungsverfahren müssen deutlich gestrafft werden. Die Koalitionäre haben diese Notwendigkeit erkannt. Es bleibt aber abzuwarten, inwieweit sie den Mut und die Kraft haben, sich auch gegen Kritiker aus den eigenen Reihen durchzusetzen.

Digitalisierung

Verwaltungsdienstleistungen sollen vollständig digital in Anspruch genommen werden können, wie es bereits im Online-Zugangsgesetz (OZG) vorgesehen ist. Dazu sollen unter anderem einheitliche Softwarelösungen bis auf die kommunale Ebene eingeführt und Digitalisierungshemmnisse wie das Schriftformerfordernis abgebaut werden.

Das Glasfasernetz soll schnell und auch im ländlichen Raum massiv ausgebaut werden. Zudem soll auf den neuesten Mobilfunkstandard aufgerüstet werden. Die Verbesserung des Mobilfunk- und WLAN-Empfangs in der Deutschen Bahn soll beschleunigt werden.

Der Zugang zu Daten soll verbessert werden. Dazu sollen Dateninfrastrukturen aufgebaut und Instrumente wie Datentreuhänder, Datendrehscheiben und Datenspenden eingerichtet werden.

Auf EU-Ebene sollen alle Rechtsetzungsvorhaben im Bereich der Digitalisierung (u. a. Digital Services Act, Chips Act, AI Act, E-Privacy Act, Digital Markets Act) unterstützt werden. Das Ziel ist ein EU-weiter Digitalmarkt, der Gründungen und grenzüberschreitende Marktzutritte erleichtert.

Bewertung: Die zügige Digitalisierung der Verwaltung muss eines der Hauptprojekte der künftigen Regierung sein, ebenso wie der Ausbau der Netze. Wenngleich der Netzausbau bereits seit Jahren in Koalitionsverträgen steht, ohne dass es zu signifikanten Verbesserungen gekommen wäre. Hier wäre es erforderlich, die angestrebte Verkürzung von Planungs- und Verwaltungsverfahren schnell umzusetzen.

Cybersicherheit

Die Ampel-Koalition will Investitionen in Cybersicherheit stärken, um Deutschland als digitalen Technologiestandort voranzubringen und zukunftsfähig zu machen. Auch die Cybersicherheitsstrategie und das IT-Sicherheitsrecht sollen weiterentwickelt werden. Dabei stehen die digitale Souveränität und das effektive Schließen von Sicherheitslücken im Fokus.

Bei der Gewährleistung von IT-Sicherheit soll der Staat mehr in die Pflicht genommen werden, z. B. durch den strukturellen Umbau der IT-Sicherheitsarchitektur und den Ausbau des BSI als zentrale staatliche Cyber-Anlaufstelle. Die Bundeswehr und das THW sollen ihre Cyber-Kompetenzen erweitern, um kritische Infrastrukturen effektiv schützen zu können.

Bewertung: Die Cybersicherheitspolitik sollte sich nicht nur auf die Sicherung staatlicher Strukturen fokussieren, sondern auch die Interessen der Wirtschaftsakteure berücksichtigen.

Hersteller sollen in Zukunft für Schäden haften, die fahrlässig durch IT-Sicherheitslücken in ihren Produkten verursacht werden.

Bewertung: Wie ein solches Haftungsregime ausgestaltet werden kann, bleibt unbeantwortet. Wie soll angesichts der rasanten Veränderungen in Informationstechnologien nach Jahren der Anwendung beurteilt werden, ob ein Produkt bei seiner Markteinführung dem Stand der Technik entsprach?

Lieferketten

Das von der Vorgängerregierung beschlossene Lieferkettengesetz soll unverändert umgesetzt werden, allerdings mit dem Zusatz, es gegebenenfalls zu verbessern. Die Koalition unterstützt auch die geplante EU-Lieferkettenrichtlinie. Die Koalition unterstützt die EU-Bemühungen, Freihandelsabkommen künftig mit Nachhaltigkeitsstandards zu versehen. Ansonsten sollen internationale Freihandelsabkommen nur unter Auflagen und mit Vorbehalten angenommen werden.

 

Bewertung: Es besteht die Gefahr, dass der Freihandel durch ethische, soziale und umweltpolitische Standards überfrachtet wird. Enttäuschend ist, dass die Ratifizierung des Mercosur-Abkommens von Auflagen abhängig gemacht und das EU-China-Abkommen auf die lange Bank geschoben wird.

Unternehmenssanktionsrecht

Die Vorschriften der Unternehmenssanktionen einschließlich der Sanktionshöhe sollen überarbeitet werden. Insbesondere soll die Rechtssicherheit von Unternehmen im Hinblick auf Compliance-Pflichten verbessert und ein Rechtsrahmen für interne Untersuchungen geschaffen werden.

Bewertung: Die Verschärfung des Sanktionsrechts findet sich im dritten Koalitionsvertrag in Folge. Entscheidend wird sein, dass die Unternehmen nicht über Gebühr belastet und ihre Verteidigungsrechte nicht eingeschränkt werden.

Klimapolitik

Die Politik richtet sich auf den 1,5-Grad-Pfad aus. Klimaneutralität soll bis 2045 technologieoffen erreicht werden. Die Koalition hält am Atomausstieg fest. Noch 2022 soll ein Klimaschutz-Sofortprogramm aufgelegt werden. Jedes Ressort muss seine Gesetzentwürfe auf Klimawirkung überprüfen (Klimacheck).

Der Ausbau der erneuerbaren Energien soll drastisch beschleunigt werden: bis 2030 sollen 80 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Energien kommen. Alle geeigneten Dachflächen sollen künftig für die Solarenergie genutzt werden, bei gewerblichen Neubauten ist dies verpflichtend, bei privaten Neubauten soll es die Regel werden. Der Kohleausstieg soll „idealerweise“ bis 2030 erfolgen.

Bewertung: Es bleibt offen, wie die Unternehmen die Transformation bewältigen sollen. Es findet sich im Vertrag zwar der Hinweis, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen solle gewahrt bleiben. Doch es fehlt eine konkrete Ausgestaltung. Insbesondere bleibt die Versorgungssicherheit gefährdet, denn die Konzepte zum schnelleren Ausbau der Stromleitungsnetze sind wenig konkret. Zudem gehen die Koalitionäre von einem Jahresstrombedarf aus, der in Summe vielleicht noch erreicht werden kann. Allerdings lassen sie offen, wie der jeweilige Tagesbedarf insbesondere bei sogenannten Dunkelflauten gedeckt werden soll.

Industriepolitik

Der Industrie kommt bei der digitalen und klimaschonenden Transformation die zentrale Rolle zu. Es soll eine Industriestrategie erarbeitet werden, die in eine europäische Lösung (European Green Deal) eingebettet ist. Es soll ein C02-Grenzausgleichsmechanismus europaweit eingeführt werden, um wirtschaftliche Benachteiligung europäischer Unternehmen zu verhindern.

Bewertung: Es sind starke dirigistische Ansätze erkennbar. Mit dem CO2-Grenzausgleich drohen neue Hürden im Welthandel. Die Erklärung zur Stabilisierung der Strompreise bleibt insgesamt zu vage.

Die Regierung will wettbewerbsfähige Strompreise für Industrieunternehmen schaffen, unter anderem durch die Abschaffung der EEG-Umlage ab 2023.

Bewertung: Der Wegfall der EEG-Umlage entlastet Unternehmen und Verbraucher.

Automobilindustrie

Deutschland soll Leitmarkt für E-Mobilität und Innovationszentrum für autonomes Fahren werden. Ziel sind 15 Millionen vollelektrische Pkw bis 2030.

Bewertung: Die Positionierung als Leitmarkt für E-Mobilität und autonomes Fahren ist alt. Die Absichtserklärungen zum Ausbau der E-Mobilität sind vage. Die Festlegung auf E-Mobilität wirkt innovationshemmend.

Innovation und Forschung

Der Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung soll bis 2025 auf 3,5 Prozent des BIP angehoben werden.

Bewertung: Die Idee ist nicht neu, schon die alte Bundesregierung hatte das 3,5-Prozent-Ziel bis 2025 verkündet.

Die Koalition bekennt sich zur Innovationskraft in den Regionen. Regionale und überregionale Innovationsökosysteme sollen gefördert werden. 

Bewertung: Die Stärkung der Forschung vor Ort stärkt die Unternehmen im ländlichen Raum. 

Kreislaufwirtschaft

Die Koalition will die rohstoffpolitischen Ziele in einer „Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie“ zusammenfassen. Sie will in der EU einheitliche Standards festlegen. Darin sollen höhere Recyclingquoten und Mindestquoten für Rezyklate festgeschrieben werden.

Bewertung: Die Unternehmen haben ihrerseits einheitliche Standards angemahnt. Ob das Vorhaben auf EU-Ebene umgesetzt werden kann, bleibt abzuwarten.

Ministererlaubnis

Die Koalition will Rechte des Bundeswirtschaftsministers bei Fusionen beschneiden. Das Ministererlaubnisverfahren soll so reformiert werden, dass angemessene Klagemöglichkeiten gegen eine Ministererlaubnis bestehen und der Bundestag am Verfahren beteiligt wird. Dies ist möglich, wenn ein überragendes Interesse der Allgemeinheit besteht.

Bewertung: Alle Bundesregierungen machten von dem Instrument selten Gebrauch. In der Vergangenheit haben davon Familienunternehmen profitiert. Die Neuregelung verkompliziert das Verfahren.

Steuern und Finanzen

Angestrebt wird eine stärkere Digitalisierung der Steuerverwaltung. Betriebsprüfungen sollen modernisiert und beschleunigt werden. Bewertung: Sofern tatsächlich Effizienzgewinne für die Unternehmen erzielt werden, ist die Maßnahme zu begrüßen.

Ab 2023 soll die Schuldenbremse wieder eingehalten werden. Bewertung: Das Vorhaben ist positiv, da eine wachsende Verschuldung mittelbar Druck erzeugt, höhere Steuereinnahmen zu erzielen.

In den Jahren 2022 und 2023 soll eine Investitionsprämie für Klimaschutz und für digitale Wirtschaftsgüter gelten. Bewertung: Eine Bewertung ist nicht möglich, denn es liegen noch keine Details vor.

Die pandemiebedingte, befristete Ausweitung der Verlustverrechnung soll auch 2023 gelten, ggf. unter Verlängerung des Rücktragszeitraums auf zwei Jahre. Bewertung: Die Formulierung des Koalitionsvertrages ist unscharf. Vor allem aber müsste auch der Verlustvortrag dauerhaft verbessert werden.

Die Thesaurierungsbesteuerung soll evaluiert und ggf. praxistauglich angepasst werden. Bewertung: Die praxistaugliche Ausgestaltung der Thesaurierungsregelung entspricht einer Forderung der Stiftung, die die Notwendigkeit auch bereits dargelegt und wissenschaftlich untermauert hat.

Doppelbesteuerungsabkommen sollen auf eine stärkere Quellenbesteuerung ausgerichtet werden. Die Zinsschranke soll durch eine “Zinshöhenschranke” ergänzt werden. Bewertung: Der Koalitionsvertrag enthält keine Details, weshalb eine Bewertung nicht möglich ist.

Das Faktorverfahren für den Lohnsteuerabzug soll künftig auch für die Lohnsteuerklassenkombination III/V anzuwenden sein. Bewertung: Die Umstellung geht mit zusätzlichem Aufwand für den Arbeitgeber einher.

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Roland Franke

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