Dr. David Deißner
Stiftung Familienunternehmen und Politik
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In Deutschland sind 2,9 Millionen Familienunternehmen beheimatet. Das sind 90 Prozent aller Unternehmen. Rund 60 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland sind in Familienunternehmen tätig, die mit ihrer Region fest verbunden sind. Familienunternehmen denken langfristig, viele von ihnen bestehen seit Generationen. Die 500 größten Familienunternehmen beschäftigen weltweit mehr als sechs Millionen Personen, knapp die Hälfte davon im Inland. Diese TOP-500-Familienunternehmen haben die Beschäftigung in Deutschland in der letzten Dekade um 25 Prozent ausgebaut, während die Dax-Gesellschaften in Streubesitz ihr Personal im Inland nur um vier Prozent erhöhten. Familienunternehmen sind nicht nur wichtige Arbeitgeber, sondern auch Innovationsmotor und treibende Kraft für Wohlstand. Dafür sind sie auf wettbewerbsfähige Bedingungen angewiesen. Mit einem Pakt zur Stärkung des Standorts sollte die Politik in enger Zusammenarbeit mit den Unternehmen in Deutschland die Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir auch zukünftig in Deutschland und Europa erfolgreich wirtschaften können. Wie dringend eine Agenda zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit ist, zeigt der Länderindex Familienunternehmen. Darin ist Deutschland im internationalen Vergleich auf Platz 18 von 21 Industrieländern zurückgefallen. Auch die jüngsten Prognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF) verdeutlichen, dass ein wirtschaftspolitischer Kurswechsel dringend notwendig ist. Deutschland ist der einzige Staat aus der Reihe der stärksten Volkswirtschaften, für den der IWF ein negatives Wachstum prognostiziert.
Die Deindustrialisierung ist in vollem Gange. Der Anteil des Verarbeitenden Gewerbes an der gesamten Wertschöpfung in Deutschland geht zurück. Er lag 2016 noch bei 23 Prozent, jetzt sind es 21 Prozent. Wir brauchen dringend Rückenwind für unternehmerischen Mut. Wir benötigen eine Politik, die private Investitionen unterstützt und nicht bremst.
Die Politik begegnet privatem Unternehmertum zunehmend mit Vorbehalten. Sie versucht, mit einem immer engmaschigeren Netz von Kontrollen und Verpflichtungen private Unternehmen zu beaufsichtigen. Der Staat sollte den Rahmen mit gesetzlichen Zielen vorgeben. Mit einer planwirtschaftlichen Mikrosteuerung überfordert er stattdessen sich und die Unternehmen. Ein positives Unternehmerbild ist Wesensmerkmal der Sozialen Marktwirtschaft. Anstelle bürokratischer Überkontrolle sollte der Staat auf die Verhältnismäßigkeit seiner Regulierung achten und Freiräume für Innovation und Wachstum schaffen. Dafür ist gegenseitiges Vertrauen wichtig. Wir beobachten indes mit Sorge, dass sich viele Unternehmerinnen und Unternehmer angesichts der immensen Herausforderungen, vor denen sie stehen, von der Politik nicht gehört, sondern zunehmend dirigiert fühlen. Das muss sich ändern!
Familienunternehmen vertreten voller Überzeugung europäische Werte. Unternehmen brauchen die EU, die EU braucht Unternehmen. Der gemeinsame Binnenmarkt bleibt unverzichtbar für europäische Unternehmen im globalen Wettbewerb. Umso unverständlicher ist es, dass die Brüsseler Politik die damit geschaffenen Vorteile stetig relativiert und ihre Sensibilität für wirtschaftliche Belange zu verlieren scheint. Nur so lässt sich die administrative Schlinge erklären, die sich zum Beispiel mit der überbordenden Nachhaltigkeitsrichtline oder bei den kleinteiligen Sorgfaltspflichten in weltweiten Lieferketten immer enger um Unternehmen zieht. Europa wollte zur Jahrtausendwende mit der Lissabon-Strategie der wettbewerbsfähigste Kontinent der Welt werden. Dieses Ziel ist aus dem Blick geraten. Neue Vorgaben nehmen inflationär zu und gehen mittlerweile an die wirtschaftliche Substanz vieler Unternehmen. Die Folgen sind Produktionsverlagerungen und die Abwanderung von Unternehmen. Wertschöpfung deutscher Familienunternehmen findet in zunehmendem Maße außerhalb Europas statt. Die Situation ist alarmierend. Familienunternehmen richten daher einen dringenden Appell zur regulatorischen Entlastung an die EU. Brüssel muss sich endlich wieder darauf fokussieren, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu verbessern. Angesichts globaler Krisen und Unsicherheiten braucht die europäische Wirtschaft flächendeckende Entlastungen. Die europäische Antwort auf den Inflation Reduction Act der USA muss von langfristig wirkenden strukturellen Entlastungen geprägt werden. Anlassbezogene und sektorspezifische Subventionen sowie Entlastungen einzelner Unternehmen oder Branchen müssen die Ausnahme bleiben und sich auf besondere Krisenfälle beschränken.
Bürokratische Überlastungen kommen in besonderem Maße aus der Europäischen Union. Damit sind für Unternehmen aus der EU auf dem Level playing field bereits jegliche Vorteile verspielt, unsere Wirtschaft wird im globalen Wettbewerb spürbar ausgebremst. Hinzu kommt, dass die Mitgliedstaaten das Problem regelmäßig durch „Gold Plating“ und eine unzureichend digitalisierte und praxisferne Verwaltung verschärfen. Politische Aufforderungen zum Bürokratieabbau dürfen – gerade mit Blick auf die Europawahlen 2024 – keine Lippenbekenntnisse bleiben. Regulierung ist erforderlich, um Gesetze vollziehen zu können und Rechtsklarheit herzustellen. Doch es ist insbesondere Deutschland, das laut Länderindex Familienunternehmen mittlerweile in Bürokratie erstickt: Unser Land befindet sich bei der Regulierung unter 21 Industrienationen auf Platz 18 – und damit unter den am stärksten regulierten Ländern. Die Unternehmen müssen aktuell stetig neue Berichts-, Offenlegungs- und Prüfpflichten beachten, umsetzen und nachhalten. Diese legislative Routine müssen wir schnellstmöglich durchbrechen. Erforderlich ist ein kurzfristiges Belastungsmoratorium, das seinem Namen gerecht wird. Hier müssen europäische und nationalstaatliche Ebene zusammenwirken. Der gezielte Abbau von Bürokratie erzeugt keine Kosten und kurbelt zugleich die Konjunktur an.
Die Standortbedingungen für Unternehmen haben sich hierzulande in den vergangenen Jahren stetig verschlechtert. Dies gilt insbesondere für Energiekosten und Lieferkettenprobleme. Hinzukommen die Herausforderungen durch den Fachkräftemangel, den demographischen Wandel, die Dekarbonisierung und die digitale Transformation. Die Unternehmen fallen daher im internationalen Wettbewerb zurück oder sind faktisch gezwungen ausländische Standorte zu bevorzugen. Gleichzeitig sind Standortfaktoren durch staatliche Maßnahmen nur begrenzt beeinflussbar. Der deutsche Gesetzgeber hätte jedoch die Möglichkeit, planbare Veränderungen der Unternehmensbesteuerung herbeizuführen, die Investitionen in Deutschland fördern könnten.
Für 43 Prozent aller Familienunternehmen steht in den nächsten drei Jahren die Übergabe von Unternehmensanteilen an Nachfolger an. Die Politik sollte diesen Generationswechsel unterstützen. Die großen deutschen Familienunternehmen sind im Schnitt 100 Jahre alt. Es geht ihnen um nachhaltiges Wirtschaften und Werterhalt über Generationen. Mehr als 60 Prozent der Familienunternehmen rechnen bei der Übertragung an die nächste Generation mit starken Belastungen durch die Erbschaftsteuer. Den steuerlichen Rahmenbedingungen kommt beim Übergang an die nächste Generation große Bedeutung zu. Von der Höhe der Erbschaftsteuer hängt ab, ob die in den Familienunternehmen vorhandene Substanz und damit auch die Investitionsfähigkeit erhalten bleibt.
Weil Familienunternehmerinnen und -unternehmer in Generationen denken und sich weniger an kurzfristigen Kapitalmarktinteressen, sondern an langfristigen Bedingungen ihres Standorts orientieren, sind sie innovative Gestalter der Klimawende. Insbesondere für große Familienunternehmen sind Klimaziele wichtig. 84 Prozent der großen Familienunternehmen (ab 250 Mitarbeiter) haben sich ein Klimaziel gegeben oder sind gerade dabei das zu tun. Bei großen Nicht-Familienunternehmen sind es mit 71 Prozent deutlich weniger. Auch in den 15 wichtigsten Umwelttechnologien sind fast 47.000 Familienunternehmen als Greentech-Champions tätig. Ökologische Transformation und der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit müssen als Einheit gesehen werden. Für die ökologische Transformation sind vor allem marktwirtschaftliche Anreize notwendig und nicht Verbote und überbürokratisierte Verfahren.
Mit der Erhöhung der gesetzlichen Pflegeversicherung steigen die Sozialbeiträge auf 41 Prozent. Dabei haben sich frühere Regierungen an dem Ziel orientiert, dass die Sozialabgaben nicht über 40 Prozent steigen dürfen. Deutschland liegt im Vergleich der Industrieländer in puncto Arbeitskosten in der Spitzengruppe. Im Länderindex Familienunternehmen rangiert unser Land bei Arbeitskosten und Produktivität auf Platz 19 von 21 Industrieländern. Die Lohnnebenkosten dürfen nicht durch weitere Leistungsausweitungen in den Sozialversicherungen steigen. Auch aus Arbeitnehmersicht müssen wir alles dafür tun, dass sich Arbeit im Vergleich zum Transferleistungsbezug wieder mehr lohnt.
Deutschland ist stärker vom Handel mit Staaten außerhalb der EU abhängig als andere große EU-Länder. Die Erweiterung und der Ausbau von Freihandelsabkommen liegen daher im ureigenen Interesse. Es ist zu beobachten, dass ausverhandelte Freihandelsabkommen – zum Beispiel mit den Mercosur-Staaten – wegen europäischer Sonderwünsche nachverhandelt werden. Hinzu kommt der beunruhigende Trend, dass sich bereits heute vermehrt internationale Lieferanten außereuropäischen Partnern zuwenden, um den in der EU geforderten Informationspflichten beziehungsweise Ausfuhrbeschränkungen aus dem Weg zu gehen.
In den nächsten 15 Jahren schreitet die Alterung in Deutschland schneller fort als in anderen Industrieländern. Entscheidende Handlungsfelder sind die Steigerung der Attraktivität einer Beschäftigung in Deutschland, schnellere Vermittlung von Arbeitslosen in Erwerbstätigkeit, mehr Vollzeitbeschäftigung von Frauen durch flexiblere Arbeitszeiten und damit die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Qualifizierung junger Erwachsener ohne formalen beruflichen Abschluss oder auch das Setzen von Anreizen für ältere Arbeitnehmer, die nach Erreichen des Renteneintrittsalters weiterarbeiten wollen. Wir müssen das inländische Beschäftigungspotential stärker aktivieren. Darüber hinaus ist es gut, dass die Bundesregierung die Zuwanderung von Fachkräften aus Drittstaaten erleichtert. Doch das neue Gesetz wird in der Praxis nicht funktionieren, wenn nicht auch die Antragsverfahren digitalisiert werden. Die deutschen Auslandsvertretungen benötigen Monate, manchmal Jahre, bis Arbeitsvisa erteilt sind.
Die überschießende Regulierung belastet nicht nur die Unternehmen über Gebühr. Betroffen ist auch die öffentliche Verwaltung. Bei immer neuen Berichts- und Informationspflichten Privater muss auch die Verwaltung in die Lage versetzt werden, die anfallenden Datenmengen zu bewältigen, um ihrerseits mit dem Mehr an Regulierung schritthalten zu können. Schon heute beklagen viele Unternehmen stockende Bewilligungen bei Bauvorhaben oder bei der Ausfuhr von Gütern und Maschinen.
Es ist richtig, dass die Bundesregierung die Schuldenbremse einhält. Ratingabstufungen in den USA und Frankreich sind ein Zeichen dafür, dass die hohe Neuverschuldung von Staaten an Grenzen gerät. Deutschland hat trotz des Nachholbedarfs in vielen Bereichen kein Einnahme-, sondern ein Ausgabeproblem! Die Steuereinnahmen werden laut Schätzung im Jahr 2025 über eine Billion Euro erreichen. Von Jahr zu Jahr steigt die Steuerquote, also der Anteil der Steuern am Sozialprodukt. Fast ein Viertel unseres Sozialprodukts entfallen auf Steuern. Im Jahr 2005 betrug die Steuerquote noch 21,2 Prozent, 2022 lag sie schon bei 24,5 Prozent. Deutschland ist Höchststeuerland.
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