12/01/2020
Dr. Hinrich Mählmann

„No Deal“ is not an option!

Im Oktober 2017, also vor mehr als drei Jahren, habe ich schon angemahnt, dass schnell rechtliche und wirtschaftliche Sicherheit durch einen vertraglich geordneten Brexit und ein umfangreiches Partnerschaftsabkommen geschaffen werden müssen, um Schaden vom UK und der EU abzuwenden. Davon sind wir jetzt, mehr als drei Jahre später, offensichtlich immer noch weit entfernt.

Am 24.Januar dieses Jahres wurde zwar das Austrittsabkommen von beiden Seiten unterschrieben. Der Austritt zum 1. Februar 2020 wurde vollzogen, und es wurde eine Übergangsfrist bis Ende des Jahres vereinbart, die beide Seiten dazu nutzen wollten, um ein Handelsabkommen zu vereinbaren.

Durch das kürzlich von der Regierung Johnson durch das Unterhaus gebrachte Binnenmarktgesetz („Internal Market Bill“) wird nun das Nordirland betreffende Protokoll zum Brexit-Vertrag verletzt. Es würde London die Möglichkeit geben, die festgeschriebene Regelung auszuhebeln, gemäß der in Nordirland auch künftig die EU-Zoll-Regeln gelten sollen. Mit der Regelung sollten Grenzkontrollen zwischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland vermieden werden. Johnson gibt diesen Vertragsbruch offen zu, hält ihn aber zur Wahrung der Integrität des britischen Binnenmarktes für notwendig. Beim Abschluss des Brexit-Vertrags hatte er der Regelung noch zugestimmt.

Das Oberhaus hat das britische Binnenmarktgesetz abgelehnt, da es zutreffend darin eine Gefährdung des Friedens in Nordirland und eine Beschädigung des Ansehens des Landes in der Welt sieht. Es besteht also ein Patt zwischen den beiden Kammern des Parlaments. Die EU hat bereits ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.

Das Übergangsabkommen läuft in wenigen Wochen aus und eine Einigung über ein Handelsabkommen erscheint ob der Uneinigkeit über zentrale Fragen kaum noch möglich. Eine Verlängerung wird von Premier Boris Johnson ausgeschlossen – unabhängig davon, ob sich die EU darauf einlassen würde. Johnson tönt weiter, dass das Vereinigte Königreich auch ohne ein Handelsabkommen mit der EU gut leben könnte. Das ist eine krasse Fehleinschätzung. Ein „No Deal“-Brexit bedeutet, dass auf beiden Seiten die Drittstaatenregelungen greifen mit gravierenden wirtschaftlichen Folgen für alle. So drohen z. B. laut einer Studie des britischen Automobilverbandes SMMT allein der europäischen Automobilindustrie Kosten von rund 110 Milliarden Euro.

Das Vereinigte Königreich ist keineswegs auf den Supergau vorbereitet. Zwischen Dover und Calais sowie durch den Eurotunnel verkehren jährlich mehr als vier Millionen Lkws und weitere Millionen von Pkws und Bussen. Jede Verlängerung der Abfertigung würde zu massiven Rückstaus auf beiden Seiten des Kanals führen. Wertschöpfungsketten drohen massiv gestört zu werden, wenn nicht sogar zusammenzubrechen. Da erscheint es vergleichsweise hilflos, wenn durch das Einrichten von zusätzlichen Parkplätzen und einigen zusätzlichen Zollabfertigungsstellen das Chaos verhindert werden soll.

Das Zollthema ist aber nur ein Teil der Probleme bei einem „No Deal“-Szenario. Bis zum Ende der Übergangszeit gelten alle Rechtsvorschriften der EU weiter und das UK wird weiter wie ein Mitgliedstaat behandelt. Danach drohen ohne entsprechende Nachfolgevereinbarungen massiv negative Konsequenzen bei Verträgen, Normen, Genehmigungen etc..

Die Verhandlungen zwischen der EU und dem UK laufen derzeit weiter. Aber die Zeit läuft aus. Wenn Johnson nicht im letzten Moment einlenkt und von seinem populistisch-naiven Kurs abrückt, läuft alles auf „No Deal“ hinaus. Der Übergangszeitraum hätte gemäß des Brexit-Übergangsgesetzes bis maximal Ende 2022 verlängert werden können, wenn beide Parteien dies bis spätestens Mitte 2020 vereinbart hätten. Diese Frist hat die Regierung Johnson zwar bewusst verstreichen lassen. Aus meiner Sicht gibt es aber bei Einschaltung von etwas Verstand und bei dem, was auf dem Spiel steht, nur zwei sinnvolle Optionen. Entweder eine Einigung in letzter Sekunde oder eine Verlängerung des Übergangszeitraums.

„No Deal“ is not an option!