Volksabstimmungen gehören seit jeher nicht zu den demokratischen Genen der britischen Demokratie. Der überwiegende Teil der britischen Politiker hatte die Initiative von David Cameron zur Abstimmung über den Verbleib in der EU aber laufen lassen und steht nun vor dem selbst verschuldeten Scherbenhaufen. Die Volksabstimmung über Austritt oder Verbleib in der EU war das Ventil der Unzufriedenen. Man konnte parteiübergreifend Dampf ablassen. Welche Konsequenzen der Brexit haben könnte, wurde ausgeblendet.
Nun wächst aber die Ahnung, dass sich der Brexit extrem nachteilig auf die britische Wirtschaft und damit auf das Land insgesamt auswirken wird. Dennoch zieht kaum jemand in Erwägung, ein erneutes Plebiszit zu wagen. Die gemachten Erfahrungen haben tiefe Wunden geschlagen. Der einst von wohliger Tradition getragene pflegliche Umgang miteinander ist durch die politische Schlammschlacht rund um das erste Referendum nachhaltig beschädigt worden.
Wie geht man nun mit der Misere um? Die englische Politik ist konzeptlos und heillos zerstritten über die Vorgehensweise in den Verhandlungen. Derzeit ist überhaupt nicht klar, wer bei den Tories und damit im Land zukünftig das Sagen hat und für wie lange.
Politiker im andauernden Abrufstatus können aber keine zukunftsgerichteten Verhandlungen führen. Nun könnte man seitens der EU meinen, daraus Verhandlungsvorteile ableiten zu können. Wer aber schon Verhandlungen mit Verhandlungspartnern geführt hat, die untereinander uneins sind, weiß, dass dies ein Albtraum ist.
Sollte bis zum 29. März 2019 kein Abkommen zustande kommen, gibt es keine vertragliche Basis mehr zwischen der EU und Großbritannien. Das würde bedeuten, dass in jeder Hinsicht nichts mehr zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU und ihren Mitgliedstaaten geregelt wäre. Ein Albtraum für beide Seiten, aber insbesondere für die Insel. Beide sind in keiner Weise auf dieses Szenario vorbereitet. Handels- und Personenverkehr zwischen der Insel und dem Kontinent würden zum Erliegen kommen. Europäische Unternehmen und Bürger in Großbritannien und britische Unternehmen und Bürger in der EU bewegten sich ab dem Stichtag in totaler Rechtsunsicherheit. Dieses Szenario kann sich keiner wünschen.
Da aber bei der Ineffizienz, mit der die Verhandlungen derzeit geführt werden, ein Abkommen und Verträge zur Regelung des zukünftigen Zusammenlebens von EU und UK in der vorgegebenen Zeit unmöglich erscheinen, wird eine Übergangsphase von der englischen Seite ins Feld geführt, während der die EU-Verträge weiter gelten sollen. Ein Soft Brexit also, den mittlerweile auch der Vorsitzende der oppositionellen Labour Party, Jeremy Corbyn, vorschlägt. Auch Theresa May änderte jüngst ihre Meinung und schlug dies in ihrer Florenz-Rede Ende September vor. Das klingt zunächst vernünftig und konsensfähig. Doch selbst innerhalb der britischen Regierung ist man sich uneins darüber, wie lange die Übergangsphase dauern solle. Boris Johnson fordert bereits, dass Großbritannien keine neuen Vorschriften und Regularien aus Brüssel akzeptieren dürfe.
Für die Wirtschaft wäre der Soft Brexit das geringere Übel. Denn zumindest in dieser Übergangsphase nach dem Austritt im März 2019 würde die Freizügigkeit der EU-Bürger erhalten bleiben, was Theresa May noch Ende Juli 2017 rigoros ablehnte. Zudem würde Großbritannien weiter der Zollunion und dem Binnenmarkt der EU angehören, und es könnte ein umfassendes Handelsabkommen für die Zeit danach ausgehandelt werden. Auch die Gültigkeit der europäischen Rechtsprechung in Großbritannien bliebe zumindest auf Zeit erhalten.
Es bleibt aber die Unsicherheit über das Danach. Theresa May schließt das norwegische Modell für die zukünftigen Handelsbeziehungen aus. Das ist ihr zu eng und verpflichtend für ihr Land. Sie schließt aber auch das kanadische Modell CETA aus. Das ist ihr zu wenig. In Bezug auf beide Modelle sagt sie: „We can do so much better.“ Was und wie, sagt sie aber nicht und weiß es wohl auch nicht.
Die EU verhielt sich nach dem Votum zunächst wie ein verlassener Ehepartner, wütend, gekränkt, ratlos und besorgt um den Zusammenhalt der restlichen Familie. Bei den Spitzenpolitikern der Mitgliedsländer hat das Thema aber derzeit nicht den Stellenwert, den es in Anbetracht der Brisanz haben müsste.
Unser Unternehmen stellt sich jedenfalls auf schwierige Zeiten in Großbritannien ein. Wenn alle Seiten nicht schnell dem Ernst der Lage entsprechend handeln und auch zukünftig sicherstellen, dass die Freizügigkeit der Bürger, die Handels- und Zollunion und die allgemeine Rechtssicherheit erhalten bleiben, wird die EU als Wirtschaftsraum Schaden nehmen und Großbritannien als Land schweren Zeiten entgegengehen.
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