07/01/2018
Dr. Jan Stefan Roell

Eingliederung von Immigranten in den Arbeitsprozess von Familienunternehmen

Wir waren etwas euphorisch, blauäugig und insgesamt sehr motiviert, zu helfen. Im Sommer 2015 haben wir uns auf der Betriebsversammlung vorgenommen, zwölf Flüchtlinge in unseren Betrieb zu integrieren, das entspricht einem Prozent unserer Mitarbeiter im Inland. Die Zustimmung in der Belegschaft und die ausgesprochene Hilfsbereitschaft war groß.

Heute haben wir fünf ehemalige Flüchtlinge bei uns im Haus (vier Syrer und einen Eritreer). Was haben wir erlebt?

Im Jahr 2015 war die Arbeitsverwaltung überhaupt nicht vorbereitet auf diesen Ansturm. Die Regeln waren unklar, wir konnten Menschen nicht beschäftigen, die wir beschäftigen wollten, weil das nicht zulässig war. Die Situation hat sich deutlich gebessert, die Verwaltung kennt sich jetzt aus, Regelungen wurden nachgezogen, die Beratung für uns hat sich verbessert. Geblieben sind eine hohe Komplexität und unterschiedliche Regelungen in den Bundesländern. Eine Beschäftigungsmöglichkeit eines anerkannten Flüchtlings aus Neu-Ulm entspricht nicht der Beschäftigungsmöglichkeit eines anerkannten Flüchtlings aus Ulm …

Die Sprache war für uns ein viel größeres Problem, als wir angenommen hatten: In einem Industriebetrieb, wo es nur Facharbeiter, Ingenieure und Kaufleute gibt, ist es nicht mit ein paar Worten Anleitung getan. Wir mussten auf Deutsch richtig kommunizieren können, oder auch auf Englisch, und das gelang nicht.

Als sogenannter Bekannter Versender für den sicheren Lufttransport unserer Waren nach Übersee müssen unsere Mitarbeiter in der Fertigung, Montage, im Lager und so weiter sicherheitsüberprüft sein. Eine solche Überprüfung für Flüchtlinge ist undenkbar, also konnten wir in diesen Bereichen keine Flüchtlinge einsetzen.

Selbstbild und Fremdbild stimmten bei so manchem Flüchtling überhaupt nicht überein. Wir haben natürlich keinen Wert auf Zeugnis und Dokumente gelegt (die ohnehin häufig nicht vorlagen), sondern wir haben Tätigkeiten zugewiesen und geschaut, was die Menschen können – und das war deutlich weniger als das, was uns geschildert wurde − vom Flüchtling selbst oder einem Übersetzer. Diese Diskrepanz mit dem Flüchtling zu besprechen, ist schwierig und zeitaufwendig. Wir wollten auf der einen Seite den Stolz der Menschen nicht verletzen, auf der anderen Seite aber ein realistisches Feedback geben. Das ist nicht einfach zu erreichen.

Wir haben gute menschliche Erfahrungen gemacht, sowohl im privaten Bereich als auch im Betrieb. Wir haben ehrliche, respektvolle Menschen kennengelernt, und dennoch sind gewisse Tugenden, die für uns wichtig sind – wie Pünktlichkeit oder auch Kommunikation bei nicht erledigten Aufgaben –, nicht so stark entwickelt, wie wir uns das wünschen. Insgesamt waren und sind unsere Mitarbeiter motiviert, bei der Eingliederung von Flüchtlingen im Betrieb zu helfen. Diese Hilfsbereitschaft ist dann besonders hoch, wenn Mitarbeiter eine klar definierte Verantwortung für einen neuen Arbeitskollegen haben und wenn sie aus dem HR-Bereich/der Personalabteilung gut unterstützt werden. Die dazu erforderliche Kapazität im Personalbereich hatten wir anfangs deutlich unterschätzt.

Die Flüchtlinge, die wir kennengelernt haben und die arbeiten wollen, sind sehr bemüht, schnell Geld zu verdienen. Nicht weil sie es für sich selber brauchen, sondern weil sie familiären Verpflichtungen nachkommen wollen und Geld nach Syrien, in die Flüchtlingslager in Jordanien und in die Türkei oder in ihre anderen Herkunftsländer schicken wollen. Dieser Wunsch, diese Verpflichtung, Geld „nach Hause“ zu schicken, steht dann häufig einer Ausbildung im Weg, die natürlich deutlich geringer vergütet wird als jeder einfache Hilfsarbeiterjob. Das ist bedauerlich, denn die Eingliederung in eine wirklich gut bezahlte, anspruchsvollere Tätigkeit, ist ohne eine Ausbildung oder sogar ein Studium nicht möglich.

Helfen uns die Flüchtlinge, einen Fachkräftemangel in der Industrie zu lindern? Ich glaube nach unseren Erfahrungen: nur zu einem ganz kleinen Teil. Im Bereich der Dienstleistungen, im Gastgewerbe, vielleicht auch im Handwerk kann ich mir vorstellen, dass wir Flüchtlinge mittel- und langfristig gut integrieren und den Fachkräftemangel reduzieren können. In der Industrie wird das aus unserer Sicht nur in deutlich geringerem Umfang gelingen können.

Was wünsche ich mir von unserer politischen Führung? Einfache, klare, bundeseinheitliche Regelungen bezüglich der Beschäftigungsmöglichkeit von geflüchteten Menschen. Schnellen und konsequenten Vollzug von Entscheidungen, damit alle Beteiligten Klarheit haben. Und ich wünsche mir – ganz unabhängig vom Flüchtlingsthema, aber mit Bezug auf fehlende Fachkräfte – ein Einwanderungsgesetz für Deutschland zum Beispiel nach kanadischem Vorbild.

Seit mehr als 160 Jahren ist Zwick Roell in der Material- und Bauteilprüfung tätig. Weltweit ist das Familienunternehmen nach eigenen Angaben führend in der statischen Prüfung und verzeichnet ein signifikantes Wachstum bei Betriebsfestigkeitsprüfsystemen. Im Geschäftsjahr 2017 erzielte die Zwick Roell AG einen Umsatz von 226 Millionen Euro. Mit mehr als 1.500 Mitarbeitern, Produktionsstandorten in Deutschland (Ulm, Radeberg, Bickenbach), Großbritannien, Österreich und weiteren Niederlassungen in Frankreich, Großbritannien, Spanien, den USA, Brasilien, der Türkei, Singapur und China sowie weltweiten Vertretungen in 56 Ländern ist das Unternehmen in der Qualitätssicherung von mehr als 20 Branchen tätig.