In der Wissenschaft wurde in jüngsten Veröffentlichungen die Meinung vertreten, dass die gesamte Inhaberfamilie in die Lage versetzt werden sollte, mit der Geschäftsführung gleichberechtigt und auf Augenhöhe über das Unternehmen zu sprechen. Schulungen sollten den Familienmitgliedern dabei das nötige Wissen verleihen. Das ist ein hoher Anspruch.
Dieser Auffassung muss ich als Praktiker entgegentreten:
Wenn man so mit der Geschäftsführung Gespräche führen will, muss man deren Ausführungen nicht nur verstehen, sondern sie auch beurteilen können. Das setzt eine Menge an Ausbildung voraus. Gerade in Familienunternehmen, die schon eine große Anzahl an Gesellschaftern haben, wird ein Teil von ihnen zeitlich gar nicht in der Lage sein, solche Ausbildungen zu durchlaufen. Wie sollen eine Krankenschwester nach ihrem aufreibenden Tag, ein Architekt mit nächtlichen Sitzungen, ein Musiker, ein Chirurg oder ein Pfarrer die Zeit und den Willen dazu aufbringen?
Nun gibt es Gesellschafter, die zeitlich weniger eingebunden sind. Etwa Gesellschafter ohne Beruf, Teilzeitbeschäftigte oder Beschäftigte anderer Berufe, die ausreichend Möglichkeiten haben. Doch es stellt sich generell die Frage: Was wäre damit gewonnen, würden diese über eine Qualifizierung auf dem Niveau eines Bachelor- oder sogar Master-Studiums verfügen?
Ein bekannter Frankfurter Lehrer der Volkswirtschaft pflegte seinen Studenten nach Abschluss des Examens folgenden Rat mit auf den Weg zu geben: „Meine Damen und Herren, wenn Sie nun ins Wirtschaftsleben eintreten, tun Sie dies mit gewisser Unsicherheit. Aber ich versichere Ihnen, bevor die anderen gemerkt haben, dass Sie nichts können, haben Sie es gelernt!“
Mit anderen Worten: Mit rein theoretischem Wissen kann man im Unternehmensalltag zunächst wenig anfangen. Im Unternehmen muss man erst einmal lernen, wie miteinander umgegangen wird, wer die wichtigen Personen sind, welche Rücksichten allgemein genommen werden, wie offen oder wie formal die Zusammenarbeit ist, welche Hierarchien beachtet werden müssen. Erst wenn man das Unternehmen als atmende Organisation begriffen und nachdem man sich im menschlichen Beziehungsgeflecht des Unternehmens zurechtgefunden hat, kann man beginnen, sein theoretisches Wissen einzusetzen.
Eine dritte Sektion von Gesellschaftern steht selbst aktiv im Wirtschaftsleben. Sie benötigen bestenfalls eine ergänzende Qualifikation. Sie stehen durch ihren eigenen Beruf dem Geschehen im Familienunternehmen nahe. Hier stellt sich eine ganz andere Frage: ob nämlich die Familie aus diesem Teil der Gesellschafter nicht die Unternehmensführung selbst in die Hand nehmen kann. Zumindest aber stehen geeignete Gesellschafter zur Auswahl, um die Familie im Beirat oder einem entsprechenden Organ des Unternehmens zu vertreten.
Entscheidend dabei ist, auf die Zuständigkeiten zu achten. Es kann nicht angehen, dass etwa einzelne Gesellschafter von sich aus mit der Geschäftsführung über Strategien sprechen. Die Gesellschafter müssen mit einer Stimme sprechen. Nicht zu Unrecht versteht man unter guter Unternehmensführung (Corporate Governance) eine klare Zuweisung von Zuständigkeiten, Aufgaben, Verantwortungen und Verfahrensweisen, die nicht mit jenen der anderen Organe vermischt werden dürfen.
Nun könnte man sich fragen, was die Familiengesellschafter dann überhaupt dürfen und sollen. Drei Bereiche bieten sich hierfür an:
Die Gesellschafter haben ein Recht, umfangreich über das Geschehen in der Firma informiert zu werden. Dies geschieht auf den ein- bis zweimal jährlich stattfindenden Gesellschafterversammlungen durch die Geschäftsführung, darüber hinaus durch den Beirat beziehungsweise den Beiratsvorsitzenden. Letzteres ist wichtig, um dem Hang einer Geschäftsführung, Dinge zu positiv darzustellen, entgegenzuwirken.
Familiengesellschafter sind sehr gut darin, die eigenen Familienmitglieder zu beurteilen, die zur Wahl in den Beirat oder in die Geschäftsführung stehen. Man kennt sich aus Jugendtagen, ist teilweise zusammen aufgewachsen, trifft sich jährlich mindestens bei den Gesellschafterversammlungen. Wenn sie ihre Vertreter in den Beirat oder in die Geschäftsführung entsenden, so vertrauen sie ihnen. Bei der Wahl von auswärtigen Kandidaten fehlt dieser Vorteil völlig, und selbst erfahrene Beiräte können, wie wir erkannt haben, irren. Berater könnten dann eine hilfreiche Rolle spielen.
Vertrauen ist der zentrale Begriff, der die Verhältnisse in einem Familienunternehmen bestimmen sollte. Auch das Vertrauen darin, dass jeder in die Lage versetzt wurde, entsprechend seiner Rolle zu handeln. Ohne Vertrauen wird man den Aussagen des Beirats oder der Geschäftsführung mit Unsicherheit gegenüberstehen. Wenn das Vertrauen in eine Person des Beirats oder der Geschäftsführung fehlt, so muss die Familie sich schleunigst von ihr oder ihm trennen. Es gibt keinen anderen Weg, denn eine Kontrolle und Überwachung im Tagesgeschäft ist durch die Familie kaum möglich.
Die Gesellschafter als Inhaber des Unternehmens müssen in grundlegenden Fragen der Unternehmensstrategie das letzte Wort haben. Das können sie auch, denn hier geht es um Fragen generellen Inhalts, zu deren Beantwortung kein spezifisches betriebswirtschaftliches Wissen und keine praktische Unternehmenserfahrung nötig sind. Zum Beispiel: Wie hoch sollen die Entnahmen sein, und wie viel Geld wollen wir dem Unternehmen belassen? Können wir uns mit „Dual-Use“-Produkten identifizieren, also Produkten, die den Kunden sowohl nützen, aber bei geänderter, etwa militärischer, Anwendung auch schaden können? Wollen wir die schnelle Expansion, die vorgeschlagen ist, mittragen oder nicht?
Kurz: Die Vorstellung, dass Familiengesellschafter, die nicht aktiv im Unternehmen – also Beirat oder Geschäftsführung – tätig sind, sich auf Augenhöhe und gleichberechtigt mit der Geschäftsführung über Themen des Unternehmens, Steuern, Vertriebswege oder die Qualität von Kunden oder Lieferanten austauschen, ist in meinen Augen etwas hochgesteckt. Wichtig hingegen wäre die Vermittlung einer Einsicht, dass eine theoretische Qualifikation dem aktuellen und umfassenden Wissen eines Geschäftsführers nicht gleichkommen kann.
Etwas anderes wäre es, wenn eine Weiterbildung dazu dienen soll, Berichte und Vorschläge der Geschäftsführung besser zu verstehen, ohne auf Augenhöhe und gleichberechtigt mitdiskutieren und mitentscheiden zu wollen. Das zentrale Element, das als Regulativ in einem Familienunternehmen benötigt wird, ist Vertrauen in die Organe und in die Personen, die sie repräsentieren. Vielleicht sollte sich auch die Wissenschaft künftig ein wenig mehr dieses Themas annehmen.
Die Vorwerk & Co. KG wurde 1883 in Wuppertal gegründet und entwickelte sich im Laufe der mehr als 130-jährigen Firmengeschichte von einer Teppichfabrik zu einer breit aufgestellten, internationalen Unternehmensgruppe. Zu ihren Produkten zählen nach wie vor Teppiche, aber auch Haushaltsgeräte, wie der Thermomix oder der Kobold-Staubsauger, Kosmetika und eine Bank für Mittelstandsfinanzierung. Weltweit arbeiten etwa 637.000 Menschen als selbstständige Berater für die Vorwerk-Gruppe sowie rund 12.000 als fest angestellte Mitarbeiter und erwirtschaften im Jahr einen Umsatz von 3,1 Milliarden Euro. Dr. Jörg Mittelsten Scheid ist Firmenteilhaber in fünfter Generation, trat 1966 in die Unternehmensleitung ein und wurde 2005 Vorsitzender des Beirats, dem er heute als Ehrenvorsitzender angehört.