In einer Krise muss jede Analyse mit einem tagesgenauen Zeitstempel versehen werden. Stand heute, 30. März 2020, überwiegt die instabile Hoffnung, dass wir die Krise in den Griff bekommen werden. In diesem Fall wäre es richtig, an der Kombination aus Beschränkungen und Weitermachen festzuhalten. Das beinhaltet auch, dass wir die betriebliche Handlungsfähigkeit so weit möglich aufrechterhalten – unter Wahrung entsprechender Vorsichtsmaßnahmen und Schutzprozesse.
Dazu gehört auch die Arbeitnehmerfreizügigkeit, also beispielsweise die Möglichkeit von zentraleuropäischen Arbeitnehmern, in Deutschland erwerbstätig zu sein. Sie ist für das Funktionieren des europäischen Wirtschaftsraums unabdingbar. Mit den aktuellen Grenzschließungen schädigen wir die europäische Wirtschaft. Wir müssen pragmatischere Wege einschlagen.Wir müssen uns aber auch Auswege aus dem erzwungenen Stillstand in Deutschland eröffnen. In allen Bereichen des Lebens – zum Leben selbst – benötigen wir Hoffnung! Das gilt gerade in der Fasten- und Osterzeit. Welch schönes Sinnbild für das Ende des Shutdowns wäre also der Ostersonntag! Wenn jedoch Ostern ohne die Sicht auf eine herannahende Morgenröte im öffentlichen und wirtschaftlichen Leben verstreicht, werden die Hoffnungen von Bürgern und Unternehmen sprichwörtlich wie die Primeln eingehen – die Grenzen der Belastbarkeit werden überschritten.
Ein langfristiger Stillstand des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens, ein „Dauerkarfreitag“, ist keine Option. Die Folgeschäden für Menschen und Wirtschaft werden im anhaltenden Wachkoma immer gravierender. Doch im Vergleich zu Covid-19 werden sie erst mit zeitlicher Verzögerung einschlagen. Das ist besonders tückisch.
Vieles ist für uns in dieser Krise neu – aber vieles auch unvorteilhaft alt. Letzteres lässt sich zum Beispiel bei reflexartigen Mechanismen beobachten nach dem Motto: „Ich habe erstens Recht, zweitens es schon immer gewusst und drittens sind die anderen schuld.“ Soziale Medien sind seit jeher blühende Präjudizwiesen. Im Zeitalter der Empörungsübertreffungswettbewerbe muss man ein noch schlimmeres Sprießen jener Auswüchse befürchten.
Interessanterweise nimmt man in dieser pandemischen Bedrohung zunächst eher eine nach außen gerichtete Entfremdung war: Die vorherrschenden Stereotypen sind der vertuschende Chinese mit seinem Weltbeherrschungskomplott, die fahrlässigen Populisten Donald Trump und Borsi Johnson, die ihre nationalen Kataklysmen selbst verschulden, die Russen, die die Sabotagesituationsgunst nutzen, um mit Propagandabots unsere Moral zu untergraben, die Südländer, die ja ohnehin nicht so akkurat sind und von daher – kein Wunder – ein schlechteres Gesundheitssystem haben als „wir“ … die Liste ließe sich beliebig weiterführen. Darunter steht in Schwarz-Rot-Gold: „Alle doof, außer Mutti.“ Echt jetzt?
Zarte Pflanzen von internationaler Solidarität konnten vornehmlich erst in den letzten Tagen beobachtet werden. Die global um sich greifende Abgrenzung beinhaltet eine Altruismusvariante, welche „erst wir und bei dem Erspähen des Lichts am Ende des Tunnels auch die anderen“ zu lauten scheint.
Wir sind wie die Gallier in ihrem Dorf: Gerade in der viralen Hochphase kam es zu einer Art patriotischem Asterixianismus, bei dem wir uns intern berappeln, und mit Fingern auf die außerdeutschen „Römerlager“ deuten. Laschetix und Söderix mögen sich mal „Nase an Nase“ (vor dem Hintergrund des Social Distancing natürlich bildlich gesprochen) die Meinung geigen, doch wir halten zusammen. Die Parteien der Mitte können Stand heute wieder vermehrte Wählergunst auf sich vereinen. Der gemeinsame Wille, die Zukunft wieder gut, vielleicht sogar besser zu machen, ist spürbar.
Was gilt es vor dem Hintergrund dieser Bestandsaufnahme zu beachten? Was brauchen wir für unsere Zukunft vor dem Hintergrund dieses epochalen Schocks?
Eine gute Figur macht in diesen Tagen Jens Spahn, der als Bundesgesundheitstrainer die 16-Bundesländer-Mannschaft konzertiert – eine Mannschaft, bei der jeder „Spieler“ die Interpretationsfreiheit über das Regelwerk genießt. Der Job so eines Trainers scheint mitnichten vergnügungssteuerpflichtig. Doch selbst die systeminhärenten Selbstblockademechanismen unseres Föderalismus legen offenbar nicht in Gänze ihr lähmendes Gespinst über unsere notwendigen Entscheidungen – wir scheinen handlungsfähig, aber nicht sinnlos aktionistisch.
Es wäre nicht nur wünschenswert, sondern es ist langfristig unabdingbar, dass wir in Deutschland, Europa und der Welt in der Nach-Corona-Zeit eine gemeinsame Handlungsfähigkeit länder- und kontinentübergreifend anstreben. Bauen wir das „Danach“! Machen wir uns auf einen langfristigen gemeinschaftlichen Weg zur „glocal governance“ – einem fein tarierten System aus lokalen, regionalen und nationalen Freiheiten und einem kollektiven Willen zur Schaffung von global verbindlichen Governance-Richtlinien. Diese müssen perspektivisch natürlich auch durch einen zu schaffenden Exekutivverbund forciert werden können – nicht nur im Gesundheitswesen, sondern selbstverständlich auch im Bereich der Fiskalpolitik und in der Umweltpolitik. Der langfristig schlimmstmögliche Output wäre ein Zurück in die gefährliche Kleingeistigkeit der Nationalstaatlichkeit. Das Coronavirus gibt uns Anschauungsunterricht in puncto globaler Verknüpfung.
In Deutschland und Europa benötigen wir eine neue Föderalismusdebatte. Die technologischen Rahmenbedingungen sind gänzlich andere als zur Nachkriegszeit, in der jene Bundesorganisationsform durchaus sinnvoll und auch segensbringend war. Mit der Stärke schneller und beherzter nationaler Handlungsfähigkeit muss diese auch für Europa gestaltet werden, um ganz im Sinne unseres Grundgesetzes und einer europäischen Verfassung mit dieser positiven Exportware die global notwendige Zukunftsordnung zu prägen. Dann werden wir dieser bitteren Zeit noch etwas Positives abgetrotzt haben – bleiben wir Optimisten.
Der Beitrag ist am 7. April in der WELT erschienen.
Das 1969 von Ortwin Goldbeck gegründete Unternehmen Goldbeck ist im gewerblichen und kommunalen Hochbau aktiv. Schwerpunkt des Leistungsspektrums ist das Konzipieren, Bauen und Betreuen von Bürogebäuden, Hallen, Parkhäusern, Schulen und Wohngebäuden. Das Familienunternehmen baut mit vorgefertigten Systemelementen, die im Wesentlichen in eigenen Werken hergestellt werden, und verfügt über mehr als 70 Standorte in Deutschland und Europa. Inzwischen wird das Unternehmen in zweiter Generation von den Brüdern Jörg-Uwe und Jan- Hendrik Goldbeck geführt. Die Goldbeck-Gruppe erwirtschaftete im vergangenen Geschäftsjahr eine Gesamtleistung von 2,93 Milliarden Euro und beschäftigte konzernweit mehr als 7.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.