05/07/2024
Thomas Fischer

Schockstarre in Deutschland

„Erwähnung mag noch finden, dass wir weit überdurchschnittlich zur Heranziehung von Gastarbeitern gezwungen waren. Dank der ausgezeichneten Unterstützung durch das hiesige Arbeitsamt beschäftigen wir ca. 700 Mitarbeiter aus 16 Ländern, fast 30 % der im Lohnverhältnis arbeitenden Betriebsangehörigen. Ich […] darf feststellen, dass wir […] bezüglich Arbeitsgesinnung, Fleiß [sic] und Leistung dieser Arbeitskameraden nur dankbar sein können. Ohne ihre Hilfe könnten wir unsere Produktionsaufgabe nicht bewältigen.“ 

Sie fragen sich, warum ich aus einer Rede meines Großvaters Adolf Mann zum 25. Firmenjubiläum im Juni 1966 zitiere? Um zu zeigen, dass wir damals ähnliche Herausforderungen zu meistern hatten wie heute. Was uns heute von damals unterscheidet: der Umgang mit diesen Herausforderungen.

Aber der Reihe nach.

MANN+HUMMEL. Gegründet im Jahr 1941, mitten in den Wirren des Zweiten Weltkriegs. Vom Textilunternehmen zum Automobilzulieferer gewachsen, der – um überhaupt produzieren zu dürfen – mehrmals sein Produktportfolio umstellen musste.

So viel zur Vorgeschichte und weiter zum zitierten Absatz: Fachkräftemangel? Im Nachkriegsdeutschland der 1940er-, 50er- und 60er-Jahre ein drängendes Problem und damit wahrlich keine Erfindung der heutigen Zeit. Doch damals wusste man sich zu helfen. Durch pragmatisches Handeln. Im konstruktiven Zusammenspiel von Politik, Behörden und Wirtschaft – zum Wohle aller Beteiligten.

Können Sie sich daran erinnern, wann Sie das letzte Mal „dem hiesigen Arbeitsamt“ – oder irgendeiner anderen Behörde – für „ausgezeichnete Unterstützung“ gedankt haben? Öffentlich und aus voller Überzeugung? Ich gebe gerne zu: Ich kann es nicht.

Und damit sind wir mit ein bisschen Vorgeschichte am Kern dessen, was ich in diesen Zeilen umreißen möchte: Wir Menschen – und gerade wir Unternehmen in Deutschland und Europa – bewegen uns in einem hochgradig regulierten Umfeld. Einem Umfeld, das immer komplexer und komplizierter, aber vor allem immer bürokratischer wurde und zunehmend wird. Statt Kräfte für pragmatisches und damit lösungsorientiertes Handeln freizusetzen, bindet eine von Politik und Behörden vorangetriebene Regulatorik Kräfte. Statt Kräfte freizusetzen, treiben Deutschland und Europa zusehends in eine regelrechte Schockstarre. Weder die Menschen noch der Mittelstand noch die Industrie können aus einer solchen Politik Mut schöpfen!

Wo ist die Politik geblieben, die sich aus dem Grundvertrauen in die Eigenverantwortlichkeit ihrer Bürger und Unternehmen speist? Die uns mit einem Max Weber‘schen Fokus auf Verantwortungsethik statt auf Gesinnungsethik unterstützt? Ich sehe und spüre sie nicht (mehr). Viel eher hat sie sich zunehmend zu einer Politik entwickelt, die regulierend (und damit bremsend) in immer mehr Bereiche des täglichen Lebens ihrer Bürger und Unternehmen eingreifen möchte. Und genau damit erschüttert die Politik das Vertrauen, das Bürger und Unternehmen in sie setzen, weil sie ihrer eigentlichen Aufgabe damit nicht mehr nachkommt!

Im Moment sehe ich in Deutschland und Teilen Europas die Logik: „Ihr Unternehmen müsst jetzt unheimlich viel investieren, damit es irgendwann wahrscheinlich mal besser wird: Energiewende, Mobilitätswende, Berichtspflichten usw. Und wir – die Politik – reden auf dem Weg dahin ordentlich mit.“ Ohne eigene Verantwortung und Verpflichtung – wenn ich vom nächsten Wahltermin einmal absehe. Als Unternehmer frage ich mich: Muss das wirklich so sein?

Ich denke: Nein! In meiner Vorstellung schafft die Politik die Rahmenbedingungen, die Unternehmen nutzen. Wir müssen wieder dahin kommen, dass es für einen Unternehmer wieder interessant ist, unternehmerisch zu handeln.

Darin sehe ich übrigens keinen Selbstzweck, sondern eine wichtige Rolle im gesamtgesellschaftlichen Gefüge. Unternehmen – und gerade Familienunternehmen – übernehmen Verantwortung. Sie gehen Verpflichtungen ein. Sie schaffen damit Vertrauen. Langfristig und nachhaltig. Sowohl Verpflichtungen für die und Vertrauen bei den Menschen, die bei ihnen arbeiten, als auch für und in das System, in das sie eingebunden sind.

Eine zentrale Voraussetzung dafür: dass man diese Unternehmen und Unternehmer auch tatsächlich einbindet und wirtschaften lässt. Wenn ich das Gefühl habe, kein Gehör mehr zu finden und nur noch mit Pflichten überhäuft zu werden, warum soll ich mich dann hier und jetzt engagieren? Wo bleibt hier das Prinzip von Leistung und Gegenleistung?

Wenn es uns gelingt, wieder miteinander in den Austausch zu kommen, wieder aufeinander zu hören und uns auf unsere eigentlichen Aufgaben und Kompetenzen fokussieren zu können, dann können wir auch große Aufgaben bewältigen. Dass wir dies dringend tun müssen, lehrt uns aktuell das Ausland: Während wir in Deutschland über Fachkräftemangel, den Umgang mit Rechts, eine verfehlte Energiepolitik und zunehmende Bürokratisierung klagen und diskutieren, überholt uns das Ausland. Die Welt wartet nicht auf Deutschland.

Ich bin überzeugt, wenn wir uns – und damit auch jeder in seinem ihm zugedachten Feld – auf die eingangs angesprochenen „Arbeitsgesinnung, Fleiß und Leistung“ besinnen, dann kann uns eine Wende zum Besseren gelingen, in deren Windschatten sich viele der aktuellen Probleme von ganz allein lösen. Aber dafür braucht es vor allem den Mut und die Bereitschaft, damit auch zu beginnen!

Die Kernkompetenz des 1941 gegründeten Familienunternehmens MANN+HUMMEL ist die Filtration. MANN+HUMMEL sorgt damit für saubere Mobilität, saubere Luft, sauberes Wasser und eine saubere Industrie. Das Unternehmen beschäftigt mehr als 22.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an über 80 Standorten weltweit. Das Unternehmen erzielte zuletzt einen Umsatz von 4,8 Milliarden Euro.